Erstmals Berichte über Schwangerschaft und Geburt zweier Mütter mit LEMS
Freya Matthiessen 11. Januar 2007
Bisher waren Antworten auf Fragen zum Risiko von Mutter und Kind beim autoimmun bedingten Lambert-Eaton Syndrom gänzlich offen. Es gab keine Fallbeschreibungen.
Wie verändert sich das LEMS-Bild der Mutter während der Schwangerschaft, unter der Geburt und nach der Geburt? Wie wirken sich die Medikamente der Mutter auf das ungeborene und das gestillte Kind aus? Werden die LEMS-Antikörper über Plazenta/Nabelschnur und Muttermilch auf das Kind übertragen?
Mindestens 10 % der Babys von Müttern mit Myasthenia Gravis – so ist bekannt – entwikkeln eine transiente neonatale Myasthenie, d.h. eine Muskelschwäche von leicht bis schwer (ggf. unfähig zu schreien, zu trinken, beatmungspflichtig), die sich nach Wochen oder Monaten zurückbildet.
Ob die Ergebnisse auf das Lambert-Eaton Syndrom übertragbar sind, ist auch weiterhin offen. Die beiden Kinder, von denen hier die Rede ist, sind gesund bzw. in einem Fall mit zeitlich begrenzter leichter Muskelschwäche geboren worden. Für zukünftige Geburten bedeutet das lediglich: Gesunde Kinder von LEMS-Müttern sind möglich. Noch nicht möglich sind Aussagen über die statistische
Wahrscheinlichkeit, ob ein Kind mit oder ohne LEMS-Symptome bzw. mit leichten oder schwersten Behinderungen zur Welt kommen wird. Ähnliches gilt für mögliche gesundheitliche Verschlechterungen der LEMS-Symptome der werdenden Mutter. Frauen sollten sich auf jeden Fall vor der Nachwuchsplanung in einem geeigneten Zentrum mit Gynäkologie plus Neurologie beraten lassen und sich auf eine Risikoschwangerschaft einrichten. Der Verlauf des Lambert-Eaton Syndroms ist nie vorhersagbar, plötzliche Verschlechterungen müssen immer einkalkuliert werden. Zu bedenken ist immer, ob das Kind familiär gesichert aufgehoben sein wird, falls es die Mutter nicht mehr versorgen kann.
Im Jahr 2006 waren die beiden unten beschriebenen „LEMS-Fälle“ in der wissenschaftlichen
Literatur vorgestellt worden. Beiden Fällen ist gemeinsam, dass bei den Müttern anscheinend die Atemmuskulatur nicht betroffen war. Beide Mütter wiesen einen niedrigen Antikörper- Titer auf. Hier zeigt sich wieder, dass die absolute Höhe des Antikörper-Titers nicht unbedingt etwas über die Schwere der Erkrankung aussagt. Höchstwichtig: In beiden Fällen war das Lambert-Eaton Syndrom nicht mit bösartigen Tumoren verbunden (Statistik: mindestens 50 % mit Kleinzelligem Bronchialkazinom). Die Erkrankung hatte schon so lange bestanden, dass das Risiko, noch einen Tumor zu entwikkeln, wahrscheinlich dem der übrigen Bevölkerung angenähert ist.
Bericht Nr. 1 aus England bzw. Wales/ UK.
Eine Frau, deren Muskelschwäche sich seit ihrem 13. Lebensjahr generalisierte und verschlimmerte, erhielt erst mit 25 Jahren die Diagnose Lambert-Eaton Syndrom. Blutwäschen
(Plasma-Austausch zur Reduktion der Antikörper) sowie Prednisolon („Kortison“) und Azathioprin
(zur Schwächung der Immunabwehr) zeitigten deutliche Besserung, die verbleibende Behinderung war jedoch erheblich.
Der Autor dieses Berichts sah die Patientin erstmalig als sie 30 Jahre alt war. Muskeln: wechselnde Gesichts-, Nacken- und Gliederschwäche; sie konnte langsam 200 m gehen. Eigenreflexe: vermindert. Vegetative Störung: trockener Mund.
Die Beschwerden besserten sich nach dem (zusätzlichen) Einsatz von 3,4-DAP, so dass Prednisolon ausgeschlossen werden konnte.
Mit 35 Jahren wurde bei der Frau eine Schwangerschaft diagnostiziert. Die Behandlung mit Azathioprin und 3,4-DAP wurde fortgeführt. Schwangerschaft und Geburt (termingerecht) verliefen normal. Das Kind (Geburtsgewicht 3050 g) wies drei Wochen lang leichte Muskelschwäche auf, konnte aber problemlos trinken. Im Übrigen war und blieb es gesund.
Wie mir der Autor bestätigte, waren Plazenta/Nabelschnur und das Kind von den Kinderärzten nicht auf Antikörper getestet worden. Der gesundheitliche Zustand der Mutter sei vor und nach der Geburt gleich gewesen.
Bericht Nr. 2 aus Göttingen und Würzburg:
Bei der Mutter war das Lambert-Eaton Syndrom mit 25 Jahren festgestellt worden. Sie litt vorwiegend an Oberschenkelschwäche und an Mundtrockenheit. Es wurde dreimal ein Plasma-Austausch durchgeführt, darüber hinaus wurde sie mit Pyridostigmin (Pyr), 3,4-Diaminopyridin (3,4-DAP) sowie Glucocorticosteroiden und Azathioprin behandelt. Azathioprin und 3,4-DAP konnten drei Jahre nach der Diagnose abgesetzt werden.
Fünf Jahre nach der LEMS-Diagnose, mit 30 Jahren, wurde die Frau schwanger. Unter der Gabe von Methylprednisolon und Pyridostigmin blieb ihr Zustand stabil. Während der Schwangerschaft sank der ohnehin niedrige Antikörper-Titer weiter ab. In der 33. Woche wurde die Frau mit Magnesium zur Hemmung der vorzeitig eingetretenen Wehen behandelt. Magnesium ist ein Kalzium-Antagonist (Gegenspieler), entsprechend löste die Verabreichung hochgradige Muskelschwäche aus: Die Patientin konnte nicht stehen und war unfähig, die Arme zu heben. Nach Absetzen von Magnesium
kam innerhalb einer Woche die Kraft zurück. In der 34. Woche wurde die Geburt medikamentös eingeleitet. Trotz normaler Wehen musste das Kind (Geburtsgewicht 2080 g) per Zange geholt werden. Obwohl in der Nabelschnur die typischen LEMS-Antikörper (niedriger Titer) vorhanden waren – wies das Kind keinerlei Muskelschwäche auf, weder gleich nach der Geburt, noch später. In der Muttermilch fanden sich keine Antikörper.
Ich frage mich, warum im 2. Fall die Geburt in der 33. Woche nicht zugelassen wurde, da doch
die muskellähmende Wirkung von hochdosiertem Magnesium auf LEMS einschlägig bekannt ist.
Fallberichte:
(1) Lecky BR:
Transient neonatal Lambert-Eaton syndrome.
J Neurol Neurosurg Psychiatry 2006
Sep; 77(9) :1094.
(2) Schneider-Gold C, Wessig C, Höpker M, et
al.:
Pregnancy and delivery of a healthy baby in
autoimmune Lambert-Eaton myasthenic
syndrome. J Neurol 2006 Apr 5.
[Download
des Berichts als PDF-Dokument]
In der Regel versucht man die Schwangerschaft möglichst lange aufrecht zu erhalten, um die Entwicklung des Kindes möglichst weit zu führen. Bei Frühgeburten vor der 37. SSW bestehen erhöhte Risiken für Komplikationen bei den Kindern z.B. Lungenprobleme. Es ist zwar heute schon möglich Kinder ab der 24 SSW am Leben zu erhalten, diese haben jedoch ein massiv erhöhtes Sterberisiko (nur 60% dieser Kinder Überleben). Je weiter die Schwangerschaft fortgeschritten ist desto geringer sind die Risiken für das Kind.
Um vorzeitige Wehen zu unterdrücken ist Magnesium eine gut steuerbare und wirksame Substanz.
Die Entwicklung einer Muskelschwäche ist auch bei Gesunden bekannt und dies gilt natürlich umso mehr bei Betroffenen mit einer neuromuskulären Erkrankung. Man geht dieses Risiko unter Beobachtung der Muskelfunktion aber zu Gunsten der Entwicklung des Kindes ein.
Kommentar von Dr. Jens-Peter Weber,
medizinischer Referent der DGM
Nachsatz zum Bericht Nr. 2 von C. Schneider-Gold et. al.
Ich möchte an dieser Stelle doch noch meine Verwunderung ausdrücken,
a) dass in der 33. SSW die einsetzenden Wehen unterdrückt wurden – mit den vorhersagbaren Folgen für die Mutter;
b) dass dann aber in der 34. SSW (also eine SSW später) die Geburt künstlich eingeleitet wurde. Eine Begründung wird eigentlich nicht geliefert. Das Kind musste mit der Zange geholt werden, die eigentliche Ursache für diese Maßnahme wird nicht genannt.
In welchem Zustand sich die Mutter zur Zeit der Geburt und danach befand, wird bemerkenswerter Weise in dem Artikel nicht erwähnt.
Bedeutsam:
Die Einnahme von 3,4-DAP während der Schwangerschaft scheint keine negativen Auswirkungen auf Mutter und Kind gehabt zu haben. Ob das für nachfolgende Schwangerschaften auch gelten wird, ist nicht vorhersagbar.
Freya Matthiessen 10. April 2007
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